Von unserem Gastautor Thorsten Arp
Strategien und Prävention von Kälteproblemen beim Paddeln
Europäische Flüsse und See haben durchschnittlich während sieben Monate pro Jahr eine Wassertemperatur von < 14º Grad Celsius. Während fünf von diesen Monaten sogar kälter als 8 Grad Celsius. Von diesen Wassertemperaturen gehen für Paddelnde damit auch schon im Sommer ernsthafte Gesundheitsrisiken
aus. Noch dramatischer wird es natürlich im Winter.
Winterpaddeln ist zweifellos eine besonderes Naturerlebnis, setzt aber geeignete Ausrüstung, Vorbereitung und Verhalten voraus. Dabei ist nicht, wie man meinen sollte, die Unterkühlung (Hypothermie) das grosse Problem, sondern die Mechanismen die beim Eintauchen in kaltes Wasser viel schneller ausgelöst werden können: Kälteschock und Schwimmversagen. Dazu später mehr.
Wie kann dem menschlichen Körper Wärme kann entzogen werden?
Der menschliche Körper befindet sich in einem ständigen Wärmeaustausch mit seiner Umgebung. Das Wissen um die 4 Mechanismen ist wichtig, um Wärmeverlust wirksam verhindern zu können:
Radiation
Wärmestrahlung durch elektromagnetische Wellen
Die Wärmestrahlung ist der Wärmeaustausch, der in Form einer Infrarotstrahlung zwischen dem menschlichen Körper und den umgebenden Elementen erfolgt, deren Temperatur ungleich ist.
Der Wärmeverlust durch Strahlung ist der grösste und macht ca. 60% am Ganzen aus. Die Wärmeabstrahlung ist dabei von 2 anderen wichtigen Faktoren abhängig: Der Umgebungstemperatur und dem individuellen Verhältnis von Körpermasse zu Körperoberfläche eines Menschen.
Konduktion
Wärmeübertragung durch direkte Leitung / Kontakt
Die Leitung verweist auf den Wärmeaustausch, wenn unser Körper in Kontakt mit einem anderen Medium steht. Dabei ist es entscheidend, wie gross die Wärmedifferenz zur Kontaktfläche ist und wie gut diese Wärme leiten kann. Beispiel: Liegen auf einer kalten Oberfläche versus liegen auf einer Isoliermatte Zusammen mit der Konvektion (s.u.) macht dieser Wärmeverlust durch Konduktion ca. 25% am Ganzen aus.
Konvektion
Wärmeaustausch über ein Medium (Luft, Wasser)
Die Konvektion bezeichnet den Wärmeaustausch zwischen unserem Körper und der Umgebung, in dem er sich aufhält: Luft oder Wasser. Je nach Wärmeleitfähigkeit des Mediums kann dieses an einem Punkt / Temperatur als Isolator wirken oder uns auch Wärme entziehen. Er liegt bei 25 °C für die Luft und bei 37 °C (!) für das Wasser. Grund: Wasser leitet ca. 20-25x besser als Luft. Merke: Ein Mensch kann seine Körpertemperatur in Wasser <37ºC nicht ohne Schutzkleidung halten.
Evaporation
Wärmeverlust durch Verdunstung
Die Evaporation entspricht dem Wärmeverlust in Verbindung mit Wasserabscheidung durch unseren Körper; also durch Schwitzen und der Atmung. Er macht 15% unseres ganzen Wärmeverlustes aus, kann aber bei steigenden Temperaturen bis 100% gesteigert werden (Schwitzen).
Was genau ist eine Unterkühlung oder „Hypothermie“?
Wir sehen also, wie unser Körper Wärme verlieren kann. Wenn dabei die Körpertemperatur im Kern unter 35ºC abfällt, spricht man in der Medizin von einer Hypothermie. Medizinisch werden verschiedene Schweregrade der Hypothermie unterschieden; immer in Abhängigkeit der Körperkerntemperatur. Weltweit hat sich dabei das «Schweizer System» eingebürgert:
Grad I klares Bewusstsein mit Kältezittern: 35 – 32 °C
Grad II – beeinträchtigtes Bewusstsein ohne Zittern: 32 – 28 °C
Grad III – bewusstlos: 28 – 24 °C
Grad IV – Scheintod/wahrscheinlicher Tod: 24 – 13,7 °C
Grad V – Tod durch irreversible Unterkühlung: <13,7°C (< 9°C)
Wie gefährlich ist eine Unterkühlung für uns Paddler?
Im Outdoorsetting hat die genaue Differenzierung für uns keine Bedeutung. Wir können die Kerntemperatur ohnehin nicht messen. Was uns interessiert ist, ob jemand noch aktiv Wärme durch Zittern produzieren kann oder bereits nicht mehr:
- Nicht jeder der friert oder kalt hat, ist hypotherm. Bei Patienten, die zittern, aber in der Lage sind gut zu reagieren und sich selbst zu versorgen, ist es unwahrscheinlich, dass diese stark unterkühlt sind.
- Patienten die nicht mehr in der Lage sind zu reagieren und Schwierigkeiten haben, sich selbst zu versorgen, sind wahrscheinlich unterkühlt. Im Zweifelsfall sollte aber egal wie davon ausgegangen werden, dass eine Unterkühlung vorliegt.
Massnahmen bei einer Unterkühlung
Solange die Person noch zittert und dabei eine Teetasse selbst halten kann, ist die Unterkühlung (noch) nicht so schlimm. Jetzt sollten die Wärmeverluste (s.o.) reduziert werden. Ausserdem kann mit Bewegung und aktiver Wärmezufuhr (z.B. warme Getränke) gearbeitet werden.
- Nasse Kleider werden nur dann entfernt, wenn trockene zur Verfügung stehen und weiteres Auskühlen verhindert werden kann. Denke an Windschutz und Isolation der Sitz- oder Liegefläche.
- Zittert die Person nicht mehr und kann gleichzeitig ihre Teetasse nicht mehr selbst halten, dann Vorsicht! Keine unnötige Bewegung, keine aktive Bewegung.
- Die Unterkühlung ist nun bedrohlich und das Fortschreiten muss verhindert werden. Es braucht unbedingt Hilfe von aussen (Notruf).
Der Körper schafft es in diesem Fall noch gerade so, den lebenswichtigen Kern warm genug zu halten. Bewegung der (sehr kalten) Arme und Beine kann diese fragile Situation zum Kippen bringen. Es droht der Kreislaufstillstand mit der Notwendigkeit der Wiederbelebung.
Auch hier gilt es, den weiteren Wärmeverlust zu verhindern. - Ein aktives Anheben der Körperkerntemperatur ist im Outdoorsetting meist nicht möglich, da die dazu notwendige Energiemenge nicht zur Verfügung steht.
Ein Sturz ins kalte Wasser und was dann passiert…
Eine Hypothermie entwickelt sich selbst nach einer Kenterung im Winter ohne Trockenanzug nicht in wenigen Minuten, sondern braucht deutlich länger (siehe «Phasen» unten). Selbst im Wasser <10ºC dauert das, je nach körperlicher Konstitution, bis zu einer Stunde, ist aber dann ein bedrohliches Krankheitsbild.
Aber: Wer unbeabsichtigt in kaltes Wasser eintaucht, setzt seinen Körper sofort grosser Belastung aus. Dazu gehört unkontrolliertes Einatmen, was unter Wasser lebensbedrohlich ist. Doch was passiert genau?
a) Tauchreflex
Der Tauchreflex ist ein Schutzmechanismus, der bei allen lungenatmenden Lebewesen beim Eintauchen (Immersion) in Wasser beobachtet werden kann. Durch eine Stimulation des Parasympathikus wird die Atmung zum Stillstand gebracht („sistiert“), der Herzschlag verlangsamt und der Blutkreislauf
zentralisiert („Bloodshift“). Damit wird der Sauerstoffverbrauch auf die überlebenswichtigen Organe reduziert. Je kälter das Wasser, desto stärker der Tauchreflex.
b) Kälteschock
Fatale Kombination aus zwei Reflexen
Zum einen taucht man komplett ins Wasser ein, wodurch sich der Puls verlangsamt (siehe Tauchreflex). Die Atmung wird zum Stillstand gebracht und der Herzschlag verlangsamt sich. Dieser Reflex ist bei allen Lebewesen zu beobachten, die über Lungen atmen.
Der zweite Reflex beim Kälteschock ist eine Reaktion auf die Wassertemperatur: Kälte lässt unseren Puls schneller schlagen. Die Folge: Das Herz ist verwirrt. „Es weiß nicht was zu tun ist – und hört auf zu schlagen“.
c) Schwimmversagen
Neben dem Einfluss auf die Thermoregulation beeinträchtigt die Wassertemperatur die Leistungsfähigkeit der Muskelzellen. Gleichzeitig verringert sich die Geschwindigkeit der Reizleitung über die Nervenbahnen. Die Muskelkontraktion, die Greifkraft und die Handkoordination nehmen rapide ab und machen es schwierig bis unmöglich, z. B. eine Schwimmhilfe anzulegen oder sich aus dem Wasser zu ziehen. Die Schwimmfähigkeit des Betroffenen ist eingeschränkt, da die Synchronisierung von Atmung und Schwimmstößen schwieriger wird. Der Schwimmer kommt in eine aufrechtere Position, um den Mund über Wasser zu halten, was zu ineffizienten Schwimmstößen führt.
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Welche Phasen können auftreten?
Zeitliche Abfolge der Phasen nach dem Eintauchen in Wasser (Ausprägung jeweils abhängig von der Wassertemperatur):
Phase 1: Kälteschock (ca. 1–3 Minuten)
Phase 2: Schwimmversagen (ca. 3–30 Minuten)
Phase 3: Unterkühlung (ca. 30–60 Minuten)
Phase 4: Kreislaufreaktion durch die Rettung (während der Rettung oder Stunden nach der Rettung)
Merke
Bereits bei einer Wassertemperatur <15ºC ist mit diesen Reaktionen zu rechnen. Unabhängig des Trainingszustandes, des Körpergewichts etc.
Darum
- Panik nach Kenterung vermeiden / beruhigen / Auftrieb nutzen
- Reaktion des Körpers und Atmung kontrollieren
- Orientierung? / Ausstieg aus dem Wasser möglich?
- Aufmerksamkeit erregen / alarmieren
- Wenig Bewegung noch schnellerer Wärmeverlust durch Konvektion im Wasser
- Keine langen Schwimmstrecken versuchen / beim Boot bleiben
- Wärmeverlust reduzieren / zusammenbleiben
Schwimmversagen / Kälteschock
Es wichtig ist, dass die Person nicht untergeht (Schwimmweste, Griffe am Boot) und sich noch im Wasser beruhigt. Es besteht kein Handlungsbedarf so schnell es geht aus dem Wasser zu kommen. – Lieber kontrolliert und sicher (Wiedereinstieg ins Boot etc.).
Hektik verbraucht Energie und die Unterkühlung geht ja zum Glück nicht so schnell. Allerdings kann man eben bald schon seine Muskeln nicht mehr richtig koordinieren und dann wird’s schwierig zurück ins Boot zu klettern.
Welche Ausrüstung nützt?
Paddelbekleidung
Orientiert sich an der Wassertemperatur (nicht Lufttemperatur):
Thermowäsche, Neopren, Trockenanzug (Goldstandard im Winter!), Mütze, Handschuhe, warme Paddelschuhe + wasserdicht verpackte Reserve / Ergänzung
Auftrieb
Schwimmweste (!), Rundumleine an Seekajaks, Haltegriffe am Boot, die auch mit klammen Fingern funktionieren
Verpflegung
Warme Getränke in einer Thermosflasche oder Kocher, kohlenhydratreiches Essen (Traubenzucker, Schoggi etc.)
Zusatzausrüstung
Notrufmittel (Signalpfeife, Taschenlampe, Handy, Rauchfackeln etc.), Windschutz (Windjacke, Biwaksack, Windshelter / Not-Zelt, Rettungsdecke etc.) Beratung zur Ausrüstung gibt’s im Fachhandel. Oft auch bei einem Gratis Kaffee.
Jetzt wünsche ich allen, die auch wie ich im Winter im und auf dem Wasser unterwegs sind, eine erlebnisreiche Winterzeit ohne Komplikationen.
Thorsten Arp
– Swiss Canoe Fachkommission Wildwasser Tourenwesen / Sicherheit
– SLRG Experte Hypothermie, Mitglied Fachgruppe Wasserrettung
– Rescue 3 Instructor, SRC Instruktor BLS-AED
– dipl. Pflegefachmann HF / dipl. Experte Kardiologie NDS HF
– Mitbegründer der Outdoorschule Süd / Freiburg (D). Erste-Hilfe-Kurse für Outdoorsettings
– Winterschwimmer aus Passion
Weitere Fragen zur Thematik oder Ausbildungskursen können gerne an mich gerichtet werden:
thorsten.arp[at]swisscanoe.ch oder t.arp[at]slrg.ch
Fotoquelle:
ID 142861719 @ Marek Uliasz | Dreamstime.com
Dies ist ein sehr guter und ausführlicher Bericht.
Danke