Wie kommt es zu tödlichen Unfällen im Kajaksport?
…und warum können sie nie ganz vermieden werden?
Das Swiss-Cheese-Model im Kanusport
Wer die jährliche Unfallstatistik gelesen hat, weiss: jedes Jahr kommen Menschen beim Kajakfahren ums Leben. Wir fragen uns, wie wir das vermeiden können.
Die meisten Unfälle werden dadurch verursacht, dass sehr unbedarft an das Thema herangegangen – und die Gefahr aus Unwissen oder Naivität unterschätzt oder gar nicht erkannt wird. Wer bei niedrigen Temperaturen, hohem Wasserstand und ohne Schutzkleidung und Schwimmhilfe ein Wehr hinunter fährt, handelt grob fahrlässig und hat Überlebenschancen, die vergleichbar sind zum „russisch Roulette“.
Die traurige Realität zeigt: auch gut ausgebildete und ausgerüstete Paddler können Pech haben und im falschen Moment auf einem mässig schweren Fluss ertrinken. Auch wenn es wenige sind: Wie kann so etwas passieren und wie können wir es womöglich verhindern? Oder zumindest die Gefahren besser verstehen und frühzeitig erkennen?
Ein tödlicher Unfall ist eine schmerzliche Belastung für alle Beteiligten, in erster Linie für Familienangehörige, Mitglieder der Gruppe, Verantwortliche, Such- und Rettungsmannschaften. In diesem Artikel schauen wir uns an, welche Verkettung von Umständen dazu führen kann, dass trotz guter Ausbildung, Sicherheitsausrüstung und aller Vorkehrungen solche Unfälle passieren.
Anhand des Swiss-Cheese-Models möchten wir veranschaulichen, wodurch ein Restrisiko entsteht – und wie wir es möglichst klein halten können.
Quelle: wikipedia.de/TerraX/ZDF, Wikipedia-Artikel
Das Swiss-Cheese-Model
Das Swiss-Cheese-Model wurde von dem britischen Psychologen James Reason entwickelt und in den 1990er Jahren vorgestellt. Zu erwarten, dass es einen Zugang zur systematischen Unfallanalyse bietet, wäre zu hoch gegriffen, vielmehr verbildlicht es durch eine Metapher, wie die Verkettung von unglücklichen Umständen zum Zusammenbruch von komplexen (Sicherheits-)Systemen führen kann.
Massnahmen und Vorkehrungen, die Sicherheit schaffen – und einen Unfall vermeiden sollen, werden bildhaft als dünne Scheiben von schweizer Käse dargestellt. Jede einzelne Sicherheitsmassnahme hat leider auch Schwächen. Diese werden als Löcher im Käse versinnbildlicht. Die Grösse und Position der Löcher ist jedoch variabel und kann sich situativ verändern. Manche Scheiben mögen nur wenige und kleine Löcher aufweisen, also viel Sicherheit bieten, während andere aus mehr Luft als Käse bestehen könnten. Folgen mehrere Scheiben Käse hintereinander (die zum Beispiel aus unterschiedlichen Käselaiben entnommen worden sind), entsteht idealerweise eine Situation, in der nie alle Löcher übereinander liegen sollten. So greift immer ein Aspekt des Sicherheitssystems und man vermeidet die fatale Katastrophe.
Sind aber nur wenige Scheiben hintereinander im System angeordnet, sind die Scheiben sehr löchrig, oder durch einen anderen blöden Zufall kann es passieren, dass über alle Käse-Scheiben und Ebenen hinweg, Loch auf Loch trifft und so ein Durchgang entsteht. Dieses Bild des durchgängigen Lochs steht für die Verkettung der unglücklichen Umstände und schliesslich für das Systemversagen und in unserem Fall für den Kajak-Unfall mit fatalem Ausgang.
Wir wollen uns anschauen, welches die Käsescheiben beim Wildwasserfahren sind und wo ihre Stärken und Schwächen liegen können.
Wildwasserkajakfahren
– welche Sicherheits-Layer gibt es und wie können wir das Restrisiko optimieren?
1) Erfahrenes Team, Ausrüstung & Ausbildung
Die Gruppenzusammensetzung spielt eine wichtige Rolle: gibt es schwache Fahrer, sollte der Rest vom Team entsprechend mehr Reserven für Sicherungsmassnahmen haben. Natürlich muss bei jedem Mitglied eine vollständige Sicherheitsausrüstung vorhanden sein. Das fängt bei geeigneter Kleidung an und hört beim Wurfsack noch lange nicht auf.
[sind alle fit? es spricht nichts dagegen, im Zweifel den Shuttle Bunny zu machen]
2) Aktuelle Verhältnisse und Anforderungen des Flusses passen zu den persönlichen Fähigkeiten
Wenn wir eine Tour bzw. Befahrung planen, sollten wir uns im klaren sein, mit welcher Schwierigkeit der Bach eingestuft ist – z.B. WW II oder WW IV, und wir sollten überzeugt sein, dass wir mit unserer Technik dem Charakter des Flusses gewachsen sind. Auch die Verhältnisse müssen passen: Wenn wir bisher nur wenig Erfahrung in WW IV gesammelt haben, ist es eine schlechte Idee, den Fluss bei Mittel- oder Hochwasser zu fahren.
[am meisten Spass macht es, wenn wir gefordert, aber nicht überfordert sind]
3) Gute, präzise Fahrtechnik mit Reserven
Unterschiedliche Strömungsverhältnisse verlangen unterschiedliche Techniken und Taktiken. Je anspruchsvoller das Wildwasser wird, umso wichtiger wird es, die geplante Linie zu treffen. Eine gute und sichere Technik verlangt vom Paddler, die Bewegungsabläufe antizipieren, gut getimed und effektiv anwenden zu können.
[Jeder macht mal einen Fahrfehler… aber dann brauchst du eine gute Rolle]
4) Sicher rollen
Im Wildwasser zu rollen ist nicht nur bequemer als auszusteigen und zu schwimmen, eine gute Rolle wird schnell sicherheitsrelevant. Als Schwimmer sind wir der Strömung viel stärker ausgesetzt und können uns weniger an der Oberfläche halten.
[dass eine Rolle mal nicht klappt, kommt immer mal vor… hoffentlich klappt die Selbst-Rettung]
5) Selbst-Rettung
Wir müssen üben, wie wir möglichst gefahrlos schwimmen (Füße nach oben, voraus) und uns möglichst kraftsparend in Wildwasser bewegen. Kommt ein erreichbares Kehrwasser in Sicht, entschlossen hinein schwimmen!
[nicht aus jeder Lage kann man sich selbst befreien… hoffentlich sind die anderen in der Nähe]
6) Fremd-Rettung
Rettungsmassnahmen müssen oft geübt werden, denn wenn sie gebraucht werden, ist keine Zeit zum Nachdenken. Im besten Fall wurde die Rettung vorher aufgebaut: Wurfsack-, Cowtail- oder Springer-Rettung.
[der Wurfsack sollte beim ersten Wurf sein Ziel erreichen… sonst wird es wirklich gefährlich]
7) Gefahrenstellen meiden
Ein Baumverhau, Fußangeln, ein Rücklauf, Walzen, ein unterspülter Felsen, Siphon… sind für einen Schwimmer lebensgefährlich. Hoffentlich ist keine Gefahrenstelle vorhanden oder man kommt im letzten Moment drum herum…
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Screencast
Das Swiss-Cheese-Model im Wildwassersport erklärt
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Mindmap Swiss Cheese Model im Wildwassersport
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Swiss Cheese Model Wildwasserkajak
Hallo
das 3×3 von Werner Munter überführt zum Paddeln von Olli Grau und Christoph Maier, finde ich auch super. Ist etwas methodischer…
wo kann man das 3×3 von Olli und Christoph finden? Würde mir das auch gerne mal anschauen.
Beste Grüße, Heiko
Hallo Heiko, Olli beschreibt das in seinem Buch http://www.olligrau.de/buch-besser-wildwasserfahren.html
lieben Gruss, Martin
Hallo Ulrich,
besten Dank für deinen Hinweis!
Das hier beschriebene Modell sollte mehr einen Beitrag zum Verständnis der Zusammenhänge und Einordnung der Geschehnisse liefern als eine Methode oder Entscheidungshilfe.
Als Bergretter und Ausbilder für Skitourenleiter habe ich natürlich viel mit Munters 3×3 gearbeitet, mir erschliesst sich die Übertragung von Olli und Christoph aber auch noch nicht so recht. Aber sie ist auf jeden Fall einen Blick wert, und ich lerne auch gerne dazu.
lieben Gruss, Martin.